Driesch # 19: Trauer |
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Driesch Ausgabe # 19, September 2014: Trauer/ grief, mourning, sorrow
Einsendeschluss Ende Juli 2014 / deadline for submissions: end of July 2014 Präsentation am Freitag, 26. September 2014, 19 Uhr Weinhaus Sittl, Lerchenfelder Gürtel 51, 1160 Wien (Stüberl, Nichtraucher; im Gastraum und Garten darf geraucht werden)
Es lesen Veronika Seyr, Leni Nusko und Johanna Hieblinger
Auf der Gitarre spielt Manfred Spehn
preface
Felix Christen: Das Jetzt der Lektüre. Zur Edition und Deutung von Friedrich Hölderlins Ister-Entwürfen. Stroemfeld, Frankfurt und Basel 2013 Mit anderen Worten. Zur Poetik der Übersetzung. 7 Jahre August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur zur Poetik der Übersetzung. Hg. von Marie Luise Knott und Georg Witte. Matthes & Seitz, Berlin 2014 Harald Hartung: Die Launen der Poesie. Deutsche und internationale Lyrik seit 1980. Hg. von Heinrich Detering. (Hg. von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, Klasse der Literatur) Wallstein Verlag, Göttingen 2014
Die lyrischen und prosaischen Beiträge, auch auf bosnisch, russisch, tschechisch und englisch, werden angereichert durch das umfangreiche Dossier, für welches wir dankenswerterweise nahmhafte Autoren gewinnen konnten: Die Psychonalytiker Dr. Werner Köpp und Dr. Wolfgang Schmidbauer liefern Arbeiten zu Freuds Religionskritik, und Mag. Veronika Seyr bietet einen hochintressanten Beitrag zur „Affäre“ Spielrein, der ein beredtes Horrorbild von C. G. Jung und auch Sigmund Freud liefert. Diese Beiträge werden ergänzt durch die Publikation in unserer REIHE: Sigmund Freud / Oskar Pfister: Die Zukunft einer Illusion / Die Illusion einer Zukunft. Nach einigen Recherchen war es uns gelungen, die Rechte für Pfisters Aufsatz zu erhalten, den jener als kritische Antwort auf Freuds berühmte Arbeit schrieb, und dessen Veröffentlichung Freud in seiner Zeitschrift IMAGO ermöglichte. Besorgen Sie sich also ein Exemplar dieser Ausgabe, und Sie haben relevanten Stoff, der gerade heute besonders wichtig und bedenkenswert ist.
Wie immer, haben wir auch eine Auswahl an Fotografien und Graphiken zum Thema versammelt.
Inhaltsverzeichnis:preface 5 Margit Heumann: Trauerangst 6 Johanna Hieblinger: Umgeschrieben 13 Haimo L. Handl: Cafe Staub; Fotografie 17 Horst Lewig: Unten am Fluss 18 Susanne Mathies:An diesem Ort 20 Kathrin B. Külow: Gedichte 22 Silvia Waltl: Gedichte 25 Jörg Kleemann:Gedichte 29 Irene Konrad: Graphik 31 Mario Hladicz: Anfall von Trauer an einem gewöhnlichen Nachmittag 32 Dominik Riedo: Konsumgesellschaft 33 Ernst Kilian: leçons de ténèbres (die phänotypen der trauer) 34 Wilhelm Schramm: Graphik 35 Birgit Rivero: Gedicht 36 Michael Gärtner: Abgefahren 38 Christian Schwetz: Hirschbrunft 39 John Patrick Platzer: „Ku-Kuck Hat-scha“ 41 Leni Nusko: Gedichte 43 Barbara Keller: Worüber geredet worden ist 44 Karl Johann Müller: Wer kann, der fliege... 48 Jürgen Kross: Nachtgewächs 51 Irene Konrad: Graphik 54 Angela Flam: malaise 55 Samira Begman: Gedichte; bosnisch/deutsch 58 Roland H. Handl: Tische; Fotografie 63 René Oberholzer: Johann/Wie damals/Annonce 64 Manfred Pricha: Gedichte 66 Diana Wiedra: Eine Reportage von der Couch 67 Frantisek Sysel: Schlafendes Kind; Fotografie 80 Matthias Hütter: zwoa oa, Gedicht 81 Daniela Simon: Aftermath / Mind for Sale; Poems 82 Andrew Maximilian Niss: Zimmer; Fotografie 84 Roland H. Handl: Soldatenfriedhof; Fotografie 85 Angelina Polonskaja: Gedichte; russisch/deutsch 86 Silvia Waltl: Hinüber 95 Ria Airam: Das Hündchen von Mama 97 František Sysel: Kind im Verband; Fotografie 105 Jarmila Moosová: Gedichte tschechisch/deutsch 106 essais 110 Michael Rebmann: Eine Reise nach Klagenfurt 111 Nikolaus Walter: Hand im Blumentopf; Fotografie 123 Heinrich Stiehler: Der rumänische Genozid an den Juden in Literatur und Geschichte 124 Nikolaus Walter: Bilderrahmen; Fotografie 133 excavations 134 Sigmund Freud: Vergänglichkeit 135 Nikolaus Walter: Hängende Rosen; Fotografie 138 Sigmund Freud: Trauer und Melancholie 139 Frederike Aiello: Melancholie; Fotografie 153 Dossier 154 Veronika Seyr: Kleine Laboratoriumsexplosionen. Sabina Spielrein zwischen Jung und Freud 155 Frederike Aiello: Frau mit Koffer; Fotografie 166 Wolfgang Schmidbauer: Die Zukunft hat viele Illusionen. 167 Werner Köpp: Gedanken zu S. Freuds Die Zukunft einer Illusion 176 Sonja Bachmayer: Fenster; Fotografie 190 recensions 191 Manfred Chobot: Das Spiel mit der Macht 192 Ute Eisinger: Riedos Niebelschütz 194 Manfred Chobot: Eifersucht ist ein Phänomen der Autosuggestion 197 Sonja Bachmayer: Graffiti; Fotografie 200 Manfred Chobot: Dekadente Ästhetik über alle Grenzen hinweg 201 Wolf Käfer: Birgit Schwaners ‘Flattersatz’ 203 Nikolaus Walter: Blumenstock; Fotografie 206 Manfred Chobot: Eine junge Frau zur Zeit der Wirtschaftskrise 207 Gustav Schwedinger: „Tschechische Elemente“ Michael Rebmann 209 Peter Paul Wiplinger: "Der private Abendtisch" von Simone Schönett 213 Autorinnen & Autoren dieser Ausgabe 215
Zum Thema TRAUER einige Anmerkungen:
Sigmund Freud: Trauer und Melancholie (1917)
Zügellosigkeit der Trauer wie der Liebe ist gemeiner Seelen Art.
Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1880 186. Zurückbildend. — Alle Verbrecher zwingen die Gesellschaft auf frühere Stufen der Cultur zurück, als die ist, auf welcher sie gerade steht: sie wirken zurückbildend. Man denke an die Werkzeuge, welche die Gesellschaft der Nothwehr halber sich schaffen und unterhalten muss: an den verschmitzten Polizisten, den Gefängnisswärter, den Henker; man vergesse den öffentlichen Ankläger und den Advocaten nicht; endlich frage man sich, ob nicht der Richter selber und die Strafe und das ganze Gerichtsverfahren in ihrer Wirkung auf die Nicht-Verbrecher viel eher niederdrückende, als erhebende Erscheinungen sind; es wird eben nie gelingen, der Nothwehr und der Rache das Gewand der Unschuld umzulegen; und so oft man den Menschen als ein Mittel zum Zwecke der Gesellschaft benutzt und opfert, trauert alle höhere Menschlichkeit darüber. Nietzsche: Menschliches Allzumenschliches II (1879)
Johannes Brahms vertonte einige Strophen aus Goethes Gedicht
Hören Sie hier Christa Ludwig mit der Altrhapsodie von Brahms
(Die Rhapsodie für eine Altstimme, Männerchor und Orchester op. 53, gängigerweise kurz als Alt-Rhapsodie bezeichnet, ist ein Chorwerk von Johannes Brahms (1833–1897) nach einem Text von Johann Wolfgang von Goethe, das 1869 entstand.)
Trauer über Vergängliches, Trauer über Verlust, Trauer – weswegen noch?
Sigmund Freud Vergänglichkeit(1916 [1915])*) Vor einiger Zeit machte ich in Gesellschaft eines schweigsamen Freundes und eines jungen, bereits rühmlich bekannten Dichters einen Spaziergang durch eine blühende Sommerlandschaft. Der Dichter bewunderte die Schönheit der Natur um uns, aber ohne sich ihrer zu erfreuen. Ihn störte der Gedanke, daß all diese Schönheit dem Vergehen geweiht war, daß sie im Winter dahingeschwunden sein werde, aber ebenso jede menschliche Schönheit und alles Schöne und Edle, was Menschen geschaffen haben und schaffen könnten. Alles, was er sonst geliebt und bewundert hätte, schien ihm entwertet durch das Schicksal der Vergänglichkeit, zu dem es bestimmt war. Wir wissen, daß von solcher Versenkung in die Hinfälligkeit alles Schönen und Vollkommenen zwei verschiedene seelische Regungen ausgehen können. Die eine führt zu dem schmerzlichen Weltüberdruß des jungen Dichters, die andere zur Auflehnung gegen die behauptete Tatsächlichkeit. Nein, es ist unmöglich, daß all diese Herrlichkeiten der Natur und der Kunst, unserer Empfindungswelt und der Welt draußen, wirklich in Nichts zergehen sollten. Es wäre zu unsinnig und zu frevelhaft, daran zu glauben. Sie müssen in irgendeiner Weise fortbestehen können, allen zerstörenden Einflüssen entrückt. Allein diese Ewigkeitsforderung ist zu deutlich ein Erfolg unseres Wunschlebens, als daß sie auf einen Realitätswert Anspruch erheben könnte. Auch das Schmerzliche kann wahr sein. Ich konnte mich weder entschließen, die allgemeine Vergänglichkeit zu bestreiten, noch für das Schöne und Vollkommene eine Ausnahme zu erzwingen. Aber ich bestritt dem pessimistischen Dichter, daß die Vergänglichkeit des Schönen eine Entwertung desselben mit sich bringe. Im Gegenteil, eine Wertsteigerung! Der Vergänglichkeitswert, ist ein Seltenheitswert in der Zeit. Die Beschränkung in der Möglichkeit des Genusses erhöht dessen Kostbarkeit. Ich erklärte es für unverständlich, wie der Gedanke an die Vergänglichkeit des Schönen uns die Freude an demselben trüben sollte. Was die Schönheit der Natur betrifft, so kommt sie nach jeder Zerstörung durch den Winter im nächsten Jahre wieder, und diese Wiederkehr darf im Verhältnis zu unserer Lebensdauer als eine ewige bezeichnet werden. Die Schönheit des menschlichen Körpers und Angesichts sehen wir innerhalb unseres eigenen Lebens für immer schwinden, aber diese Kurzlebigkeit fügt zu ihren Reizen einen neuen hinzu. Wenn es eine Blume gibt, welche nur eine einzige Nacht blüht, so erscheint uns ihre Blüte darum nicht minder prächtig. Wie die Schönheit und Vollkommenheit des Kunstwerks und der intellektuellen Leistung durch deren zeitliche Beschränkung entwertet werden sollte, vermochte ich ebensowenig einzusehen. Mag eine Zeit kommen, wenn die Bilder und Statuen, die wir heute bewundern, zerfallen sind, oder ein Menschengeschlecht nach uns, welches die Werke unserer Dichter und Denker nicht mehr versteht, oder selbst eine geologische Epoche, in der alles Lebende auf der Erde verstummt ist, der Wert all dieses Schönen und Vollkommenen wird nur durch seine Bedeutung für unser Empfindungsleben bestimmt, braucht dieses selbst nicht zu überdauern und ist darum von der absoluten Zeitdauer unabhängig. Ich hielt diese Erwägungen für unanfechtbar, bemerkte aber, daß ich dem Dichter und dem Freunde keinen Eindruck gemacht hatte. Ich schloß aus diesem Mißerfolg auf die Einmengung eines starken affektiven Moments, welches ihr Urteil trübte, und glaubte dies auch später gefunden zu haben. Es muß die seelische Auflehnung gegen die Trauer gewesen sein, welche ihnen den Genuß des Schönen entwertete. Die Vorstellung, daß dieses Schöne vergänglich sei, gab den beiden Empfindsamen einen Vorgeschmack der Trauer um seinen Untergang, und da die Seele von allem Schmerzlichen instinktiv zurückweicht, fühlten sie ihren Genuß am Schönen durch den Gedanken an dessen Vergänglichkeit beeinträchtigt. Die Trauer über den Verlust von etwas, das wir geliebt oder bewundert haben, erscheint dem Laien so natürlich, daß er sie für selbstverständlich erklärt. Dem Psychologen aber ist die Trauer ein großes Rätsel, eines jener Phänomene, die man selbst nicht klärt, auf die man aber anderes Dunkle zurückführt. Wir stellen uns vor, daß wir ein gewisses Maß von Liebesfähigkeit, genannt Libido, besitzen, welches sich in den Anfängen der Entwicklung dem eigenen Ich zugewendet hatte. Später, aber eigentlich von sehr frühe an, wendet es sich vom Ich ab und den Objekten zu, die wir solcherart gewissermaßen in unser Ich hineinnehmen. Werden die Objekte zerstört oder gehen sie uns verloren, so wird unsere Liebesfähigkeit (Libido) wieder frei. Sie kann sich andere Objekte zum Ersatz nehmen oder zeitweise zum Ich zurückkehren. Warum aber diese Ablösung der Libido von ihren Objekten ein so sdimerzhafter Vorgang sein sollte, das verstehen wir nicht und können es derzeit aus keiner Annahme ableiten. Wir sehen nur, daß sich die Libido an ihre Objekte klammert und die verlorenen auch dann nicht aufgeben will, wenn der Ersatz bereitliegt. Das also ist die Trauer. Die Unterhaltung mit dem Dichter fand im Sommer vor dem Kriege statt. Ein Jahr später brach der Krieg herein und raubte der Welt ihre Schönheiten. Er zerstörte nicht nur die Schönheit der Landschaften, die er durchzog, und die Kunstwerke, an die er auf seinem Wege streifte, er brach auch unseren Stolz auf die Errungenschaften unserer Kultur, unseren Respekt vor so vielen Denkern und Künstlern, unsere Hoffnungen auf eine endliche Überwindung der Verschiedenheiten unter Völkern und Rassen. Er beschmutzte die erhabene Unparteilichkeit unserer Wissenschaft, stellte unser Triebleben in seiner Nacktheit bloß, entfesselte die bösen Geister in uns, die wir durch die Jahrhunderte währende Erziehung von Seiten unserer Edelsten dauernd gebändigt glaubten. Er machte unser Vaterland wieder klein und die andere Erde wieder fern und weit. Er raubte uns so vieles, was wir geliebt hatten, und zeigte uns die Hinfälligkeit von manchem, was wir für beständig gehalten hatten. Es ist nicht zu verwundern, daß unsere an Objekten so verarmte Libido mit um so größerer Intensität besetzt hat, was uns verblieben ist, daß die Liebe zum Vaterland, die Zärtlichkeit für unsere Nächsten und der Stolz auf unsere Gemeinsamkeiten jäh verstärkt worden sind. Aber jene anderen, jetzt verlorenen Güter, sind sie uns wirklich entwertet worden, weil sie sich als so hinfällig und widerstandsunfähig erwiesen haben? Vielen unter uns scheint es so, aber ich meine wiederum, mit Unrecht. Ich glaube, die so denken und zu einem dauernden Verzicht bereit scheinen, weil das Kostbare sich nicht als haltbar bewährt hat, befinden sich nur in der Trauer über den Verlust. Wir wissen, die Trauer, so schmerzhaft sie sein mag, läuft spontan ab. Wenn sie auf alles Verlorene verzichtet hat, hat sie sich auch selbst aufgezehrt, und dann wird unsere Libido wiederum frei, um sich, insofern wir noch jung und lebenskräftig sind, die verlorenen Objekte durch möglichst gleich kostbare oder kostbarere neue zu ersetzen. Es steht zu hoffen, daß es mit den Verlusten dieses Krieges nicht anders gehen wird. Wenn erst die Trauer überwunden ist, wird es sich zeigen, daß unsere Hochschätzung der Kulturgüter unter der Erfahrung von ihrer Gebrechlidikeit nicht gelitten hat. Wir werden alles wieder aufbauen, was der Krieg zerstört hat, vielleicht auf festerem Grund und dauerhafter als vorher. ______________________ *) [Niederschrift im November 1915. — Erstveröffentlichung: in Das Land Goethes 1914-1916. Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt, 1916, S. 37-38. — Gesammelte Werke, Bd. 10, S. 358-61.]
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