Freud / Pfister: Zukunft Illusion |
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Im September 2014 erschienen.
Sigmund Freud: Die Zukunft einer Illusion
Erstveröffentlichung: Intern. Psychoanalytischer Verlag, Leipzig, Wien und Zürich 1927 Oskar Pfister: Die Illusion einer Zukunft. Erstveröffentlichung in IMAGO, Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Natur- und Geisteswissenschaften XIV (1928) 2-3 Herausgegeben von Haimo L. Handl Umschlag unter Verwendung einer Portraitfotografie Freuds von Ludwig Grillich, ca. 1905 (vorne) und von Ferdinand Schmutzer, 1926 (hinten).
Illustration von Robert Petschinka (www.petschinka.at)
NachwortSigmund Freuds ReligionskritikReligionskritik, besonders von Atheisten unternommen, ist nach wie vor anstößig bzw. wird als lächerlich abgetan. Sigmund Freud, Atheist, innerhalb seines biologistisch-mechanistischen Weltbildes der Aufklärung verpflichtet, wagte sich an eine Religionskritik, wie nur wenige andere. Er mag in einigen Gedankengängen für uns zu kurz gegriffen haben, mag die Vernunft, wie einige andere Aufklärer auch, dennoch überschätzt haben, wiewohl er pessimistisch der Vernunft nur eine leise Stimme zugestand, die im Lärm der Geängstigten, extrem Triebbestimmten, als welche sich die Religiösen sei je ausweisen, leicht zu überhören ist. Heute, in konservativen, ja reaktionären, barbarischen Zeiten der Gegenaufklärung bzw. religiösen Verdunkelungen, insbesondere durch den Islam, der als antimodernes Ressentiment gegenwärtig Triumphe feiert, wie anno dazumal die Nazis und Faschisten, scheint die nüchterne Kritik vom Schlage Freuds wichtiger denn je. Man darf sich durch die überreiche Kritik an Freud, seiner Psychoanalyse, seiner Theorie (oder seinen Theorien) nicht vorschnell irre machen lassen. Klar, vieles ist überholt, kritikwürdig bzw. reformiert zu überholen. Aber das hat Freud selbst schon festgestellt, weil er seine Arbeiten nicht als Glaubenssätze sah, sondern als wissenschaftliche, die der Änderung und Entwicklung unterliegen, bis hin zur Rückweisung angesichts neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Nur, Religion ist keine Wissenschaft. Sie operiert nicht argumentativ, sondern persuasiv. Sie tröstet, sie verschafft vermeintliche Sicherheit, während Wissenschaft Unsicherheit erzeugt und mehr Fragen generiert als Antworten. C. G. Jung stellt Freud in die Ecke des kalten Ungläubigen, ja Unkultivierten, des heimatlosen Juden und ewigen Nomaden, der eben keine Kultur zu schaffen vermöge. Im Aufsatz „Sigmund Freud als kulturhistorische Erscheinung“ (1932) hält er fest: „Er hat die Leidenschaft des Aufklärers, – eines seiner Lieblingszitate ist Voltaires ‚Ecrasez l’infâme’ – mit Genugtuung weist er darauf hin, was ‚eigentlich dahinter stecke’, und alle komplexen seelischen Erscheinungen, wie Kunst, Philosophie und Religion, erscheinen ihm verdächtig, ‚nichts als’ Verdrängungen des Sexualinstinktes, zu sein. Diese wesentlich reduktive und negative Einstellung zu anerkannten Kulturwerten beruht bei ihm auf historischer Bedingtheit. Er sieht, wie sein Zeitalter ihn zu sehen zwingt. Am deutlichsten tritt dies zutage in seiner Schrift „Die Zukunft einer Illusion“, wo er von der Religion ein Bild entwirft, welches aufs Haar genau dem Vorurteil des materialistischen Zeitalters entspricht.“ Jung hält etwas fest, das trivial und banal ist. Niemand kann außerhalb seiner Zeit sein. Aber das Urteil, jemand habe einem Sichtzwang gehorcht, müßte doch belegt werden. Das entgeht dem Schweizer wotangläubigen Deutschtümler, der sich willig den Nazis andiente und das jüdische Element der Psychoanalyse kritisierte, dass einiges des Befundes auf jedermann, also auch ihn, den Carl Gustav, zutrifft. Wessen Zwang erlag er? Keinem? Wie das? Dann wiegt seine Schuld und Verstrickung noch mehr, als wenn man gnädig den Zug der Zeit in Rechnung stellt. Die Schwächen und Verfehlungen betreffen nämlich nicht nur den schnöden Womanizer, den Frauenheld und sein zynisches Gebaren mit der Ware Frau, sondern sie betreffen seine Lehre von den Archetypen, seine arische Version der Psychologie. Interessant, wie der Schweizer von Zürichs Goldküste von Freud befindet: „Er ist ein großer Zerstörer, der die Fesseln der Vergangenheit zersprengt. … Wie Nietzsche, wie der Weltkrieg, so ist auch Freud, wie sein literarisches Gegenstück Joyce, eine Antwort auf die Krankheit des 19. Jahrhunderts.“ Jung war wohl die Antwort der Krankheit des 20. Jahrhunderts, oder wie will man seine Kumpanei mit dem Ungeist erklären? Als besondere Kulturleistung eines Psychologen, der Freud jede Psychologie abspricht (so im Aufsatz „Sigmund Freud“ aus Freuds Todesjahr 1939)? „Freud war ein ‚Nervenarzt’ und ist es in jeglicher Hinsicht auch immer geblieben. Er war kein Psychiater, kein Psycholog und kein Philosoph.“ Freud ist nicht nur der Zerstörer, sondern auch der Nihilist: „Aus der Gedankenwelt Freuds tönt uns darum ein erschütterndes, pessimistisches ‚Nichts als’ entgegen. Nirgends öffnet sich ein befreiender Durchblick auf hilfreiche, heilende Kräfte“… Aber Jung und seine Psychologie haben in den Dreißigerjahren das Heilende gesehen, den Durchblick gelehrt, deutsch, national, nationalsozialistisch, zeitgemäß. Der Atheist Freud als Negativist, der religiöse Psychiater und Archetypler Jung als Heilsbringer. Man muß sich das auf der Zunge zergehen lassen. Theodor W. Adorno, der von seiner Reserviertheit gegen Freuds Psychoanalyse nie ein Hehl machte, zeigt jedoch, dass Kritik auch fair und differenzierend sein kann: „Freud ist nicht vorzuwerfen, daß er das konkret Gesellschaftliche vernachlässigte, sondern daß er sich allzu leicht beim gesellschaftlichen Ursprung jener Abstraktheit beruhigt, bei der Starrheit des Unbewußten, die er mit der Unbestechlichkeit des Naturforschers erkennt. Die Verarmung durch endlose Tradition des Negativen hatte er als eine anthropologische Bestimmung hypostasiert. Geschichtliches wird Begebenheit. Beim Übergang von den psychologischen imagines zur geschichtlichen Realität vergißt er die von ihm selbst entdeckte Modifikation alles Realen im Unbewußten und schließt darum irrig auf faktische Begebenheiten wie den Vatermord durch die Urhorde.“ Und an anderer Stelle eine Kritik an der Psychoanalyse: „Das Ich, als entsprungenes, ist ein Stück Trieb und zugleich ein anderes. Das kann die psychoanalytische Logik nicht denken und muß alles auf den Nenner dessen bringen, was das Ich einmal war. … Nicht erst in ihrer Verfallsform auf dem Markt, schon im Ursprung paßt die Psychoanalyse in die herrschende Verdinglichung. Wenn ein berühmter analytischer Pädagoge den Grundsatz aufstellt, man müsse asozialen und schizoiden Kindern versichern, wie gern man sie habe, so verhöhnt der Anspruch, ein abstoßend aggressives Kind zu lieben, alles, wofür die Analyse stand; gerade Freud hatte einmal das Gebot der unterschiedslosen Menschenliebe verworfen. (50) Sie paart sich mit Menschenverachtung: darum taugt sie so gut zur Branche des Seelenhelfers. Sie tendiert ihrem Prinzip nach dazu, die spontanen Regungen, die sie freisetzt, einzufangen und zu kontrollieren: das Unterschiedslose, der Begriff, unter den sie die Abweichungen subsumiert, ist allemal zugleich ein Stück Beherrschung. Die Technik, welche konzipiert war, um den Trieb von seiner bürgerlichen Zurichtung zu heilen, richtet ihn durch seine Emanzipation selber zu.“ (Soziologische Schriften I) Anmerkung 50: „Eine Liebe, die nicht auswählt, scheint uns einen Teil ihres eigenen Werts einzubüßen, indem sie an dem Objekt ein Unrecht tut … es sind nicht alle Menschen liebenswert.“ (Freud, Das Unbehangen in der Kultur, GW Bd.14) |
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