Gisela Elsner: Gefahrensphären – Über Franz Kafkas AMTLICHE SCHRIFTEN
Hg. von Haimo L. Handl, Illustrationen von Robert Petschinka
Umschlag von Louis Christian Wolff nach einer Fotografie von H. L. Handl
Driesch Reihe # 1
Driesch Verlag, Drösing März 2012
Heftformat 21 x 21 cm, 40 Seiten, Euro 4,00
ISBN 978-3-902787-00-2
Limitierte Auflage von 300 Exemplaren
© dieser limitierten Ausgabe Driesch Verlag
Wir danken dem Verbrecher Verlag Berlin für die freundliche Abdruckerlaubnis in unserer Reihe.
Gisela Elsner: Gefahrensphären - Über Franz Kafkas AMTLICHE
SCHRIFTEN. Aus: Gisela Elsner, Im literarischen Ghetto S. 163-246.
Kritische Schriften 2, herausgegeben von Christine Künzel
© Verbrecher Verlag, Berlin 2011
Der
vorliegende Aufsatz war 1988 erschienen in Gisela Elsner:
Gefahrensphären - Aufsätze (Seiten 9-68). Zsolnay, Wien, Darmstadt. Die
im Verbrecher Verlag erschienen Ausgaben der Kritischen Schriften sind,
soweit Übernahmen aus dem im Zsolnay Verlag erschienen Essayband,
lektoriert und korrigiert; die Erstpublikation wies einige Mängel auf.
Die Rechtschreibung der Autorin wurde beibehalten.
Der Band
"Kritische Schriften 1", herausgegeben von Christine Künzel in
Zusammenarbeit mit Kai Köhler versammelt die politischen Essays der
Autorin unter dem Titel "Flüche einer Verfluchten".
2012 gedenken wir des 75. Geburts- und 20. Todestages von Gisela Elsner (2.5.1937-13.5.1992).
Wir freuen uns, rechtzeitig zu diesem Gedächtnis ihren Aufsatz zu Kafka veröffentlichen zu dürfen.
Mit dieser Ausgabe starten wir unsere Reihe!
Um nur € 4,00 erhalten Sie den hervorragenden Essay von Gisela Elsner.
Nachwort des Herausgebers:
Als
ich 1988 "Gefahrensphären" im gleichnamigen Essayband von Gisela Elsner
las, der im Wiener Zsolnay Verlag erschien, war ich verblüfft. So eine
Deutung und Kritik war mir noch nicht untergekommen. Ich kannte zwar
einiges an Sekundärliteratur zu Kafkas Werk und Person, hatte aufmerksam
die politischen Umtriebe verfolgt, die sich im "Osten" in den
Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts ereigneten, als einige Moderne
versuchten, den kommunistischen Bann, der auf Kafka und seinem Werk lag,
zu brechen.
Erst Jahre später, gegen Ende der Siebzigerjahre,
dämmerte mir der unheilvolle Einfluß der etablierten Kafka-Rezeption,
die aus dem Dichter einen Säulenheiligen machte. War ich anfänglich von
den ideologischen Grabenkämpfen begeistert, zweifelte ich später, wie
tauglich die Urteile und Deutungen waren, die sich oft extrem nach
politischen, ideologischen Vorgaben und Perspektiven richteten und
weniger nach literarischen.
Das Bild Kafkas, das ich seit meiner
Jugend aufgebaut und verstärkt hatte, strahlte; das hehre Bild des
Dichters war noch nicht ins Wanken gekommen, denn zu viele von mir
geschätzte Autoren hatten mich mit ihren Interpretationen begeistert.
Unter ihnen das 1962 erschiene Buch Ernst Fischers, "Von Grillparzer zu
Kafka", der 1963 erschienene Aufsatz "K" von George Steiner, später
abgedruckt in "Language & Silence", ein Buch, das mich gefangennahm
(wie viele weitere Bücher von ihm). Steiner lieferte auch Stoff zur
Literatur- bzw. Sprachdebatte, mit dem Marxismus, mit Chomsky, mit den
Klassikern. Natürlich fehlten auch nicht Georg Lukács und seine
Kontrahenten, Georges-Arthur Goldschmidt bzw. Eduard Goldstücker, der
sich, ähnlich wie Fischer, um eine Rehabilitation von Kafka im
kommunistischen Raum einsetzte (Kafka-Konferenz 1963 im
tschechoslowakischen Liblice), bzw. Endre Kiss oder Efim Etkind. (Die
zweite Kafka-Konferenz in Liblice 2008 bewies die Weiterexistenz der
Kafka-Malaise trotz des fehlenden Ostblock und Realkommunismus!)
Meine
Zweifel und Abwägungen der eigentümlichen Seiten der etablierten
Kafka-Rezeption, die auffällige Instrumentalisierung, wurden nun durch
den Aufsatz von Gisela Elsner verstärkt. Etwas explodierte. Nicht, dass
ich Elsner in allem Recht gäbe oder ihr folgte. Da liege ich zu weit von
ihrem realistischen Literaturverständnis entfernt. Aber die
Entmystifizierung, die klare Kritik, die scharfen Schlussfolgerungen und
ihre fruchtvollen Assoziationen zeigten auf, was bisher verdeckt war
bzw. im kunstvoll gewebten Schleier des Säulenheiligen nicht zu
existieren schien. Trotz einiger Pauschalierungen oder wackeliger
Prämissen, bedingt durch ihre eigene ideologische Fundierung, erwirkte
ihr Aufsatz eine Erhellung: mir fielen Schuppen von den Augen.
Klar, dass ich einige ihre Folgerungen, Deutungen und Urteile nach ihrer Konsistenz für mich überprüfte, nachdachte.
Ihre
Hauptleistung sehe ich einerseits in der einsamen, schroffen, scharfen
Deutung, in der Entmystifizierung, die einer Demaskierung gleichkommt.
Das trifft weniger Franz Kafka, als besonders die Kafka-Interpreten. Das
war mir willkommen. Andererseits legte Elsner dar, wie eben
Interpretationen möglich sein können, wenn man nicht nur den vorgelegten
Pfaden, sozusagen innerhalb der ausgesteckten Spielwiese, des
approbierten "Freiraums" der anerkannten Interpretationen - heute nennen
wir es das Feld politischer Korrektheit - folgte. Elsner lädt ein zum
Widerspruch und zum eigenen Denken.
Mit ihrer Arbeit belegt Elsner
aber auch die immense Macht der Chefdeuter, die sich, zwar
unausgesprochen, aber durch ihre Praxis doch, Deutungshoheit vorbehalten
und "Abweichler" abtun, disqualifizieren. Dass hier ganz ähnliche
Mechanismen wirken wie jene, die "wir" damals an den Realkommunisten
kritisierten, war mir anfänglich nicht klar.
Der Fall Kafka ist also
nicht nur ein Fall Kafka, sondern mehr einer seiner Rezeption, seiner
Glaubengemeinschaft, des Geschäfts. Also der Kulturpolitik als Teil der
Politik.
Der Leser ist selbst angehalten zu überlegen, weshalb nach
dem Zweiten Weltkrieg das Werk Kafkas im Westen solchen Zuspruch fand,
warum sein Hauptthema der Entfremdung, Bürokratie und Ausgeliefertsein
so ansprach. Vielleicht wegen seiner Mystifizierungen, seiner dunklen
Mehrdeutigkeit, seiner Entpersönlichung und nicht zuletzt seines
Sadismus wegen, der in den bilderreichen Szenen, im befremdlichen
Kontrast zur geübten Bürokratensprache, die fast wie Amtsdeutsch klingt,
Leser zu beeindrucken vermögen, weil sie von der unabdingbaren
Verlorenheit erzählen? Kam diese transzendentale Überhöhung den
Depravierten nach dem Krieg in ihren beschädigten Sichten entgegen?
Leistete das Werk eine Art Entlastung: Kein Widerstand ist möglich, weil
jeder Mensch unsichtbaren, undurchschaubaren, namenlosen Mächten
ausgeliefert ist, als ob, wie in einer griechischen Tragödie, jeder
seinem determinierten Schicksal unterliegt? Lag nicht gerade hierin ein
berechtigter Kritikpunkt, der nur deshalb beiseite geschoben wurde, weil
ihn Vertreter aus kommunistischen Diktaturen äußerten?
Ein
ähnliches Phänomen zeigt sich mir auch bei einigen anderen Autoren, die
ich als Junger unkritisch schätzte, später vermehrt kritisierte und
trotzdem schätzte. Nach der Konfrontation mit dem Unwesen der Hohen
Priester der jeweiligen Gemeinden verlagerte sich meine Kritik weg von
den eigentlichen Werken und ihren Autoren, hin zu den Kirchen, Gemeinden
und Schriftgelehrten und ihren Umtrieben mit Autoren und Werken wie z.
B. Friedrich Hölderlin, Heinrich Heine, Karl Kraus und Paul Celan.
Bei
alledem schien und scheint mir wichtig, sich geschätzte Autoren nicht
"einfach" madig machen zu lassen, aber auch nicht unkritisch populären
Vorgaben zu folgen. Das heißt, trotz heftiger Kritik kann ich Autoren
und Werke schätzen, wenn meine Deutung auch nicht den "anerkannten"
folgt. Dass das auch im umgekehrten Falle so ist, liegt auf der Hand
(verteufelte, verurteilte Werke finden trotz aufgebauter Mauern und
Bannflüchen meine Wertschätzung).
In diesem Sinne wünsche ich
dem Aufsatz von Gisela Elsner viele Leser. Auch jene, die nicht ihrer
Argumentation folgen wollen, werden sicherlich angeregt, selbst zu
sehen, zu prüfen und zu denken. Das ist mehr, als das Übliche uns
offeriert.
Rezensionen:
-
Besprechung von Martin Dragosits "Kafkas Gefahrenklassen" in seinem Blog, 7.4.2012
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